Ein, zwei
Tage vor den zu erwartenden Besucherhorden der goldenen Woche im Mai,
in welcher halb China Ferien hat und das Land bereist, brachen wir
von Shangri-la aus Richtung Norden auf. Der erste richtige Pass auf dem Weg
nach Litang war noch nicht ganz 4000 Meter hoch, verkehrsarm, perfekt
asphaltiert und die Sonne strahlte am blauen Himmel. Umstände, die
sich in keinster Weise als Standard erweisen sollten. Bereits am
Fusse des 2.Passes verwandelte sich die Strasse abrupt in eine
Rumpelpiste, die Dank des Nieselregens auch noch rutschig war. Strasse schlecht, kalt & nass, Aussicht gleich null, wir
waren nahe dran einen Bus zu besteigen... Irgendwie kamen wir nach
einigen Stunden dennoch per Velo auf dem Pass an, knipsten bei 2 Grad
ein obligates Photo und hoppelten weiter auf der Suche nach einem
Zeltplatz. Da die Gegend links und rechts der Strasse ausnahmslos
steil und ungeeignet war, mussten wir einige Kilometer zurücklegen,
bevor wir auf eine Wiese stiessen, die ein Schlafen ohne zuviel Blut
in den Beinen oder im Kopf zulassen würde. Die tibetische Familie,
welche am Ende der Wiese in ihrem einfachen Steinhaus wohnte, nickte
uns mitleidsvoll zu und bedeutete uns, dass die Wiese zu unserer
Verfügung stünde. Nachdem wir uns gerade im Zelt eingerichtet
hatten und die Instantnudelsuppen unsere Bäuche etwas zu erwärmen
begannen, „klopfte“ es am Zelt und unser Gastgeber bat uns zu
sich und seiner Familie ins Steinhaus. Dort brannte ein wärmendes
Feuer und bald wurde uns klar, dass die Nudelsuppe im Zelt nur
die Vorspeise des Abends gewesen war. Über dem Feuer brodelte ein Topf mit
Suppe, in welcher Gemüse, Streifen einer Speckschwarte und
fingerdicke Teigstücke schwammen. Dazu gab es bei Kerzenschein
Yakbuttertee, dessen Geschmack im Lonely Planet mit alten Socken
verglichen wird. Naja, ganz so schlimm ist er nicht, aber durchaus
gewöhnungsbedürftig. Alles in allem also ein deftiger 2.Gang. Als
gesättigte Rauchwürstchen verabschiedeten wir uns eine Stunde später in Richtung Zelt und
verfielen augenblicklich in komatösen Schlaf.
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1.Pass |
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2.Pass |
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Geschafft! |
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Das Haus unserer Gastgeber |
Die Nacht
war kühl und regnerisch und da wir uns immer noch auf über 4000
Metern befanden präsentierte sich die Landschaft am nächsten Morgen
bis knapp über unsere Wiese schneeweiss. Die Strasse war nach wie
vor übel und so konnten wir nach 2 weiteren Pässen die lange
Abfahrt nur halbwegs geniessen. Das Gefühl nach 80km Dauergeholper
wieder auf Asphalt zu fahren war dann allerdings traumhaft und wir
flogen die letzten Kilometer durch kleine Dörfer Richtung
Xiangcheng.
Von unserem
Hotel aus genossen wir einen Ruhetag mit hervorragender Aussicht
auf eine grosse Hochzeitsgesellschaft. Viele Gäste, laute
Unterhaltung und sich vor lauter Essen biegende Tische. Und genau wie
in den meisten Restaurants waren nach der Mahlzeit immer noch
Unmengen an Speisen übrig. Was uns als dekadent erscheint, zeigt in
China angeblich, dass man es sich schlicht und einfach leisten kann.
Viel bestellen und bezahlen, es dann aber nicht essen.
Bei schönem
Wetter ging es nun an den höchsten Pass der Reise. Während
tibetische Familien Ihre Yaks, Schweine, Ziegen und Schafe die
Bergtäler hoch trieben, strampelten wir nur unwesentlich schneller
Richtung Gipfel und erreichten am 2.Tag stolz die ersehnten
Gebetsfahnen, welche jeweils unzweifelhaft die Passhöhen
signalisieren. Auf der anderen Seite erwarteten uns eine kleine
Abfahrt und ein warmes Bett in einem kalten Zimmer.
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Auf 4708 M.ü.M. |
Am nächsten
Morgen war der Schnee noch etwas näher gerückt und lag leuchtend im
sonnigen Hof des Hotels und auf den Autodächern. Wir freuten uns,
dass wir immerhin nicht im Freien übernachtet hatten, denn die
meisten Himalayaradler erwachen früher oder später in einem
verschneiten Zelt. In den Genuss eines Schneesturmes kamen wir an
diesem Tag aber dennoch, wurden von Sprengungsarbeiten an einer
Strasse aufgehalten und durften auch wieder ein paar schlammige
Kilometer bergauf absolvieren. Trotz dem Überqueren einer
wunderschönen Hochebene eher ein Prüfstein für die Moral.
Am nächsten
Tag wurde eine dieser wiederkehrenden
Schlammpassagen zum Verhängnis für Mona: auf einem Stein ausgerutscht,
nicht rechtzeitig aus den verkrusteten Klicks rausgekommen und
flartsch, lagen Mona und ihr
Velo im Fangobad. Als uns danach zwei Bauarbeiter von sich aus mit dem
Pickup mitnehmen wollten, liessen wir uns für die letzten 20km
bereitwillig chauffieren und konnten in Ruhe einen riesigen
(höchstwahrscheinlich) Himalayageier beobachten.
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Tibetisches Kloster |
Und
dann befanden wir uns also in Litang, einer Stadt, die uns von Chinesen als
schön und tibetischer als Lhasa angepriesen worden war. Leider waren
wir nicht sehr angetan vom ziemlich heruntergekommenen Ort und
erfreuten uns deshalb daran, dass Litang ganz offensichtlich einer der
Verkehrsknotenpunkte für die chinesischen Tibetradler ist. Und es
waren deren viele: drei Tage lang beobachteten wir wie unzählige von
jungen Chinesen meist in Gruppen mit leichtem (oder leichtsinnigem?)
Gepäck bei Temperaturen um Null Grad in der auf 4000
M.ü.M. gelegenen Stadt ankamen. Die Route nach Lhasa ist
gespickt mit miserablen Strassen und hohen Pässen bis zu 5000
M.ü.M. Das Zeitfenster für die über 2000 Km von Chengdu bis ans Ziel
ihrer Träume: 25 Tage. Respekt, aber ob das realistische
Berechnungen sind? Wir bewunderten die enthusiastischen Jungs und
wenigen Mädels auf jeden Fall sehr.
Nebst
chinesischen Radlern trafen wir auch einige aus Frankreich und
Deutschland und so gestaltete sich unsere Pause in Litang sehr
kurzweilig. Es war spannend und witzig die Erfahrungen anderer
Veloreisender zu hören. Zudem führten die Infos dazu, dass wir uns
für eine Routenänderung entschieden. Was sich gerüchteweise in
Blogs und im Mailkontakt mit anderen Velofahrern bereits abgezeichnet
hatte, wurde uns nun endgültig bestätigt: die Hauptstrasse
Richtung Kangding sei eine endlose und üble Baustelle, die aufgrund
des Regens (=Schlamm) und dem Verkehrsaufkommen schlicht
nicht zu empfehlen sei. Da wir zeitlich gut dran waren nahmen wir nach zwei Pausentagen bei leichtem Schneetreiben die Strasse Richtung Norden nach
Garze. Kaum waren wir von der Hauptstrasse abgebogen wurden wir mit
einer piekfeinen Asphaltstrasse belohnt, die sich über den nächsten
4000er schlängelte und uns für einmal eine 50km lange
Hochgeschwindigkeitsabfahrt ohne Verkehr bescherte. Es war der Hammer.
Allerdings erlebten wir auch an diesem Tag ein paar Wetterlaunen:
einen Schnee-, zwei Hagelstürme und Regen, die sich jeweils mit
etwas Sonnenschein abwechselten. Wir waren zeitweise mehr am Kleider
wechseln als am Radeln. Und nach der Abfahrt...kam die nächste Baustelle.
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Hochebene von Litang |
In
Xinlong begegneten wir nach unserem Treffen in Litang erneut Martine und Dominique, einem
französischen Ehepaar, welches seit 14 Monaten unterwegs ist und von
Strasbourg nach Asien gefahren ist. Wir strampelten gemeinsam nach
Garze und mussten uns innerhalb von 2 Tagen gleich 3 Mal an
Checkpoints der Polizei ausweisen, ein Novum für uns in China. Wir
mutmassten, dass ein Zusammenhang mit der kürzlichen
Selbstverbrennung zweier tibetischer Mönche bestehen
könnte. Seit Shangri-la befanden wir uns nämlich definitiv in tibetischem Gebiet und anstatt Ni Hao (你好) hiess es nun Tashi Deleg (བཀྲ་ཤིས་བདེ་ལེགས). Der Baustil hatte sich sehr verändert und besonders die weissen, burgartigen Häuser waren sehr beeindruckend. Überall gab es viele Stupas, Gebetsfahnen und wasserbetriebene Gebetsmühlen.
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Martine und Dominique bei der Mittagspause |
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Gebetsmauer |
Ab
Garze waren wir wieder alleine unterwegs, motiviert für die letzten
gut 700km in Asien. Doch unser Elan wurde am Aufstieg zum nächsten
Pass schlammartig gebremst. Die Stelle war derart wüst, dass sogar
Autos mehrere Anläufe benötigten. Wir hatten
keine Lust mehr auf eine erneute Plackerei und hielten den
Daumen raus. Nach einer guten Stunde nahmen uns drei Männer im
Kleinlaster mit, die Fahrräder verstauten wir auf der Ladefläche.
Die folgenden 70km waren etwas vom Übelsten, was wir bisher an
Strassen in Asien gesehen hatten. Selbst die Fahrt auf dem Rücksitz
des Lasters war eine Qual für sämtliche Innereien. Ebenso wurden
unsere Fahrräder durchgeschüttelt und die Liste der Zerstörungen
war nach 3 Stunden ziemlich lang: 2 zerkratzte Oberrohre, ein
abgebrochener Trinkflaschenhalter, ein gerissenes Tachokabel, ein
gequetschtes Bremskabel, eine kaputte Schaltkabelhülle, ein abgebrochenes Schutzblech, ein
verbogener Gepäckträger und als i-Pünktchen ein ordentlicher Achter im
Hinterrad von Bruno. Uff. Da wir das meiste zügig reparieren konnten, war das aber immer noch besser als 2 Tage frustriert durch die Gegend
zu radeln.
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The End |
Für
die letzten 600 Km war es dann vorbei mit unfahrbaren Abschnitten.
Wir hatten absolutes Wetterglück und genossen so nochmals einige
schöne Zeltnächte und Passfahrten. Als Zückerchen zum Schluss ging
es 2500 Höhenmeter hoch bis auf 4481 M.ü.M.. Es gab
viele weisse Gipfel zu bestaunen und mit dem Siguniangshan sogar den
bisher höchsten (6250 M.ü.M.) der Reise. Auf dem letzten Pass
angekommen erwartete uns dann die ultimative Belohnung: 120 Km und
3700 Höhenmeter bergab. Es war eine schier endlose Abfahrt, die
grössenteils durch den grünen Nationalpark Wolong führte, der
einerseits aufgrund seiner Pandas, die man freilebend jedoch nur mit
sehr viel Glück zu sehen bekommt, und andererseits wegen des
schweren Erdbebens von 2008 sehr bekannt ist. Das Epizentrum befand
sich in dieser Region und wenngleich die meisten Bauten wieder neu
erreichtet worden sind, ist die Zerstörung hier und da noch deutlich sichtbar und die Strassen im unteren Bereich des Parkes
befinden sich in eher provisorischen Stadien. Wir passierten Friedhöfe und
Gedenkstätten und wurden das Gefühl nicht los, dass die
Katastrophe touristisch vermarktet wird.
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Überreste der Zerstörung
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Nun
sind wir seit einer Woche in Chengdu und erholen uns von den
letzten Wochen - und dem Schock innerhalb von einem Tag aus der Pampa kommend in einer 12-Millionenstadt gelandet zu sein. Wir wohnen bei einem chinesischen
Ehepaar, welches mit uns die Stadt erkundet, die drolligen Pandas in der
Zuchtstation besuchte, mit uns im Bowlingcenter war und uns die Zubereitung einiger
chinesischer Gerichte beibringt. Lecker.
Und wie immer noch ein paar Bilder.
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In Richtung Grossstadt |
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Nächste Woche sind wir bereits in Italien und werden nach ein paar
Verwandtenbesuchen zurück nach Basel radeln.
Machet's
guet und bis sehr bald.